Völkerpsychologie: Bd. Mythus und Religion

Front Cover
Engelmann, 1910
 

Other editions - View all

Common terms and phrases

Popular passages

Page 265 - ... primitive Mythologie im wesentlichen eine primitive Wissenschaft sei. Im Gegensatz hierzu scheint es mir, daß vor allem der Zauberglaube, wenn man ihn unbefangen betrachtet, ohne Vorstellungen, die ihm selbst fremd sind, in ihn hineinzulegen, die eindringlichste Widerlegung dieser Anschauung enthält. gebracht. Dennoch gehören diese für ihn, gerade so wie der Wechsel von Tag und Nacht, von Hunger und Sättigung, so lange zu den selbstverständlichen Erlebnissen, als bei ihnen die äußeren...
Page 65 - Die Phantasie ist nichts, was zu den sonstigen Bewußtseinsvorgängen als ein spezifisches Erscheinungsgebiet oder als die Äußerung eines besonderen Vermögens hinzukäme, sondern sie ist lediglich ein Ausdruck für die seelischen Vorgänge überhaupt, wenn diese unter dem Gesichtspunkt der Wechselwirkung äußerer Eindrücke mit den Spuren früherer Erlebnisse und unter der besonderen Bedingung betrachtet werden, daß die aus dieser Wechselwirkung entspringenden Resultanten Gefühle und Affekte...
Page 44 - Denn sie hängt in ihren Anfängen eng mit jenen heute längst überwundenen Vorstellungen der Aufklärungszeit von einer irgendeinmal durch Priesterweisheit oder Priesterbetrug vermittelten Erfindung zusammen, mit der sich...
Page 54 - ... Belesenheit, zum Teil unterstützt durch eigene Beobachtungen, eine Fülle interessanter Tatsachen zusammengestellt, die irgendwie mit Suggestion und Hypnose in Beziehung gebracht werden können. Doch von der psychologischen Natur der Erscheinungen gewinnt man absolut keine Vorstellung. Vielmehr verführt diese unterschiedslose Subsumtion unter die bekannten Begriffe der Fremdsuggestion, der Autosuggestion, der Massensuggestion usw. unvermeidlich dazu, die heterogensten Dinge zusammenzustellen....
Page 65 - Die Phantasietätigkeit ist also lediglich eine unter günstigen Bedingungen eintretende Steigerung der normalen Funktionen. Ebenso ist nun die mythologische Phantasie keine spezifische, dereinst einmal dagewesene und dann unwiederbringlich entschwundene seelische Kraft, sondern sie ist in ihrem ganzen Wesen identisch mit der Phantasie überhaupt. Als besonderes Moment ist ihr nur dies eigen, daß bei ihr jene Projektion der Gefühle, Affekte und Willensantriebe in die Objekte so gesteigert ist,...
Page 186 - Prophet kann vielmehr eben nur da auftreten, wo gewaltige, die Gemüter ergreifende religiöse Bewegungen und nationale Ereignisse in geistig hervorragenden Persönlichkeiten zu jener abnormen Gesamterregung des seelischen Lebens führen, die dann allerdings als eine Begleiterscheinung zugleich eine Steigerung der Sinnesfunktionen mit sich führt, aus der die Wachvision hervorgeht.
Page 297 - Art, allerdings nicht ein eigentliches Amulett, aber jedenfalls ein wie dieses zum Zauberschutz angewandtes Mauerrelief teilt in Abbildung Otto Jahn mit. Es stellt einen geflügelten und mit den Füßen eines Raubtiers versehenen Phallus dar, eine merkwürdige Verbindung zugleich von inkorporierter Psyche und Körperseele. Vgl. O. Jahn, Über den Aberglauben des bösen Blicks bei den Alten, Berichte der Ges. der Wiss. zu Leipzig. Phil.-hist. Kl. 1855, S. 28 ff. (Abbildung S. 77), wo auch noch andere...
Page 48 - ... Punkte der Erde geschehen, um von da aus über die ganze Menschheit sich auszubreiten. So liege denn in dieser Hypothese immer zugleich das Eingeständnis, daß der Mythus und demzufolge auch die Religion aus den allgemeinen Eigenschaften der menschlichen Natur nicht zu begreifen seien. Man müsse zugeben, daß die geschichtlichen Zeugnisse für sich allein die Hypothese, alle Mythen und Religionen seien dereinst in vorhistorischer Zeit von einem einzigen Ursprungszentrum ausgegangen, durchaus...
Page 264 - ... Ereignisse, die sich dem gewohnten Lauf der Dinge nicht einfügen, wie das Gewitter, der ersehnte Regen, die Überschwemmung, sie rücken erst dadurch einigermaßen in gleiche Linie mit den direkt den Menschen treffenden Unfällen, daß sie irgendwie auf ihn zurückwirken und so die 'nämlichen Gefühle von Furcht und Schrecken wachrufen. Angesichts der völkerpsychologischen Tatsachen könnte man also David Humes bekannte Kausalitätstheorie vollständig umkehren. Nicht die regelmäßige und...
Page 49 - Wenn es etwas gibt, was die Anthropologie als feststehende Tatsache erwiesen hat, so ist es in der Tat dies, daß die Eigenschaften der menschlichen Phantasie, und daß die Gefühle und Affekte, die das Wirken der Phantasie beeinflussen, bei den Menschen aller Zonen und Länder in den wesentlichsten Zügen übereinstimmen...

Bibliographic information